Extreme Wutanfälle

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Fragen aus der Community

In dieser Rubrik teile ich Fragen aus meiner Community mit dir und gebe Tipps und Impulse dazu. 

Du hast selbst etwas, das du fragen möchtest oder willst meine Einschätzung zu einer konkreten Situation? Schick mir gerne eine Email an hallo@herausforderung-hochbegabung.de. 

Unsere Tochter (6) ist hochbegabt und hat extreme Wutanfälle. Sie respektiert keine Regeln, lacht uns bei Strafen sogar aus, und wenn die Konsequenz dann kommt, schreit sie stundenlang und schmeißt ihr Spielzeug herum. Die Kinderpsychologin meinte, hochbegabte Kinder hätten oft solche Ausraster, gab uns aber keine echte Lösung außer Sätzen wie: „Es ist ok, dass du sauer bist, aber wirf nicht dein Spielzeug!“

Das sagen wir ohnehin, aber es wird nicht besser. Wie können wir die Situation entschärfen? 

Meine Impulse dazu

Aus eigener Erfahrung weiß ich: Extreme Wutanfälle bei hochbegabten Kindern bringen viele Eltern an ihre Grenzen. Wenn dein Kind regelmäßig schreit, Dinge wirft, Regeln missachtet und scheinbar unberührbar auf Konsequenzen reagiert, entsteht schnell das Gefühl:

Ich mache alles falsch.

Besonders bei Kindern mit hoher Intelligenz prallen Emotion und Ratio aufeinander, und Eltern stehen oft fassungslos daneben.

In diesem Beitrag teile ich meine Erfahrungen und konkrete Strategien, wie du dein Kind und dich selbst durch diese stürmischen Phasen begleiten kannst.

Hochbegabung erklärt vieles, aber nicht alles

Hochbegabte Kinder verfügen häufig über eine ausgeprägte emotionale Tiefe und Wahrnehmung. Sie spüren feine Stimmungen, reagieren intensiv auf Ungerechtigkeit und können sich mit Themen beschäftigen, die weit über ihr Alter hinausgehen. Diese Kinder wirken reif, aber sie sind es emotional oft nicht.

Die sogenannte asynchrone Entwicklung bedeutet: Intellektuell können sie auf dem Stand eines Zehnjährigen sein, emotional jedoch erst wie ein Fünfjähriger handeln.

Das erklärt, warum extreme Wutanfälle so häufig vorkommen, aber es rechtfertigt sie nicht. Kinder brauchen Klarheit und Orientierung, unabhängig davon, wie intelligent sie sind.

Das kannst du tun:

Regelverständnis statt Machtkampf

Viele Eltern geraten in einen Kreislauf aus Diskussionen, Eskalation und Hilflosigkeit. Sie setzen Grenzen, das Kind ignoriert sie. Es folgt ein Machtkampf, der niemandem guttut. Hier ist ein anderer Weg:

Kommuniziere klare Erwartungen

Hochbegabte Kinder hinterfragen viel, aber auch sie brauchen eine Struktur. Erkläre Regeln nicht ständig neu, sondern verankere sie als verbindlich. Verwende kurze, eindeutige Sätze wie: „Bei uns wird nicht geschlagen. Punkt.“

Kündige logische Konsequenzen an

Reagiere nicht impulsiv mit Strafen. Besser ist es, im Vorfeld zu sagen: „Wenn du heute beim Essen den Teller wirfst, gibt es eine Esspause. Ich helfe dir dann, dich zu beruhigen.“

Vermeide Diskussionen in der Eskalation

Während eines extremen Wutanfalls ist das Gehirn deines Kindes im Alarmmodus, logisches Denken ist kaum möglich. Rede dann nicht, handle. Bleib ruhig, beschütze andere und reduziere Reize (z. B. Licht dimmen, leise sprechen).

Die Wut verstehen – und vorbereiten

Statt immer erst im akuten Moment zu reagieren, hilft dir eine vorausschauende Perspektive. Beobachte über einige Tage hinweg, in welchen Situationen die extremen Wutanfälle besonders häufig auftreten. Ist es nach einem langen Schultag? Beim Übergang zwischen zwei Aktivitäten? Oder immer dann, wenn dein Kind Hunger oder Übermüdung verspürt? Notiere diese Beobachtungen in einem kleinen Wut-Tagebuch. Das Ziel ist nicht Kontrolle – sondern Erkenntnis. Je besser du die Auslöser kennst, desto gezielter kannst du sie künftig vermeiden oder frühzeitig entschärfen.

Die Ampel als Anker

Die Ampel ist ein wirkungsvolles Instrument, die Emotionen deines Kindes zu lenken und Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen, ohne die Situation zu relativieren. Du gibst deinem Kind damit die Möglichkeit, die Situation selbstbestimmt aufzulösen. 

Gleichzeitig zeigst du, dass du seine Gefühle als wichtig wahrnimmst und es verstehst. 

So funktioniert die Ampel: 

Rote Zone

Wenn dein Kind bereits mitten in einem extremen Wutanfall steckt, also in der sogenannten roten Zone, dann ist es nicht mehr ansprechbar im rationalen Sinn. Jetzt braucht es vor allem eines: Sicherheit und Präsenz.

Vermeide Diskussionen. Achte darauf, dass niemand verletzt wird, auch nicht dein Kind selbst. Sprich ruhig, bleibe in der Nähe. Worte wie „Ich bleibe bei dir“ oder „Du bist nicht allein“ geben Halt, selbst wenn dein Kind sie in dem Moment nicht erwidert.

Deine ruhige Präsenz wirkt regulierend, auch wenn die Wirkung manchmal erst später einsetzt.

Gelbe Zone

Wenn die Intensität langsam nachlässt, beginnt die sogenannte gelbe Zone. Jetzt kannst du deinem Kind helfen, wieder vollständig in die Regulation zu kommen. Sprich leise, frage sanft nach Nähe (zum Beispiel „Willst du auf meinen Schoß?“ oder „Wollen wir uns auf die Couch setzen?“).

Biete einfache Techniken an wie eine Decke zum Einhüllen, leise Musik oder gemeinsames tiefes Atmen. Auch sensorische Reize wie Knetmasse, ein Gewichtskissen oder ein ruhiges Spiel können helfen.

Wichtig: Du führst, aber zwingst nicht. Dein Kind darf Angebote annehmen oder ablehnen, es soll erleben, dass es Einfluss hat.

Grüne Zone

Erst wenn dein Kind wieder ganz ruhig und aufnahmefähig ist, kommt die sogenannte grüne Zone, der Moment für Reflexion. Jetzt kannst du mit ihm darüber sprechen, was genau passiert ist.

Nutze Formulierungen wie: „Was hat dich so wütend gemacht?“ oder „Gab es einen Moment, wo du Hilfe gebraucht hättest?“ Vermeide Vorwürfe und sprecht stattdessen über Möglichkeiten: Was kann dein Kind beim nächsten Mal anders machen? Welche Strategien helfen ihm, sich zu beruhigen?

Binde dein Kind aktiv ein, es wird nach und nach lernen, sich selbst besser zu verstehen und Wege zu entwickeln, mit seiner Wut umzugehen.

Extreme Wutanfälle mit Lob reduzieren

Gerade in herausfordernden Familienalltag mit extremen Wutanfällen gerät Positives oft in den Hintergrund. Aber Kinder, besonders hochsensible und hochbegabte, brauchen ganz bewusst gesetzte Anerkennung.

Achte im Alltag auf Momente, in denen dein Kind etwas gut macht, auch wenn es klein wirkt.

Sprich das Lob direkt aus, und zwar konkret und wertschätzend: „Ich habe gesehen, wie du dich heute zusammengerissen hast, obwohl du genervt warst.“ Oder: „Ich fand es toll, dass du vorhin gefragt hast, ob du Hilfe brauchst.“

Solche Sätze stärken dein Kind langfristig mehr als jeder Tadel. Es lernt: Ich kann anders und ich werde gesehen, auch wenn ich es gut mache.

Vergiss dich selbst nicht

Du bist nicht nur Mama oder Papa. Du bist Mensch mit Bedürfnissen, Grenzen und einem Recht auf Entlastung. Extreme Wutanfälle können dich emotional auslaugen. Deshalb ist es wichtig, regelmäßig neue Energie zu tanken.

Plane bewusst kleine Inseln im Alltag ein: eine Viertelstunde Spaziergang, ein Telefonat mit einer Freundin, ein Abend ohne Familienverantwortung. Auch Reflexion kann dir helfen: Notiere dir täglich drei Dinge, die du gut gemacht hast, als Elternteil, aber auch als Mensch. Und suche dir Gleichgesinnte: Ob in Online-Gruppen, Elterntreffen oder therapeutischer Begleitung, du bist nicht allein.

Grenzen geben Sicherheit 

Extreme Wutanfälle sind kein Zeichen dafür, dass du als Mutter oder Vater versagt hast. Sie zeigen, dass dein Kind mehr Hilfe braucht, um mit sich und seiner Umwelt klarzukommen.

Hochbegabte Kinder sind nicht nur klug, sie sind auch sensibel, leidenschaftlich, schnell überreizt. Sie brauchen liebevolle Eltern, die konsequent, ruhig und präsent bleiben, auch wenn es stürmt.

Wenn du lernst, vor der Eskalation zu handeln, kluge Grenzen zu setzen und das emotionale Bedürfnis hinter der Wut zu sehen, kann dein Kind wachsen, und du auch.

Denn hinter jedem Ausbruch steckt ein ungefiltertes Bedürfnis. Und die Chance, gemeinsam neue Wege zu gehen.

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Wer schreibt hier?

Alexandra Wittke_Porträt

Hey, ich bin Alexandra!

Neurodivers, Mutter von 2 wundervollen 2e-Kindern, Autorin, Mutmacherin und Wegbegleiterin. 

Unser Weg von „unbeschulbar“ hin zu einem Kind, das wieder gern in die Schule geht, ist Teil dieses Blogs. 

Mit ihm und mit meinem Buch „Anders Normal“ möchte ich anderen Eltern Mut machen, sich für ihre Kinder einzusetzen, gezielte Handlungskompetenz vermitteln und konkrete Strategien anbieten, mit denen sie ihre Kinder stärkenorientiert begleiten können. 

Dein Kind ist nicht anders. Es braucht nur eine Umgebung, in der es mit seinen Herausforderungen und Stärken gesehen wird!

Mockup Buch Anders Normal

„Anders Normal“ ist das Buch, das ich selbst gerne in unseren schwierigsten Zeiten gehabt hätte! 

Statt reiner Fachliteratur habe ich den Fokus bewusst auf Handlungskompetenz und konkrete Strategien gelegt, mit denen du dein Kind im Familienalltag, in Kita und Schule begleiten kannst.